Fachbeitrag: Barrierefreie Online-Unterweisungen

Melanie Dreher

Autorin

Viele Unternehmen nutzen für die Unterweisung ihrer Beschäftigten digitale Online-Unterweisungen, die die Beschäftigten am Laptop, am Desktop oder am Smartphone selbstbestimmt absolvieren. Wie können Unternehmen sicherstellen, dass die vermittelten Inhalte für alle gleichermaßen verständlich sind – und wer ist sogar dazu verpflichtet, digitale Unterweisungen vollständig barrierefrei anzubieten?

Digitale Unterweisungen

Jedes Unternehmen ist laut Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) § 12 dazu verpflichtet, seine Beschäftigten regelmäßig zu unterweisen. Immer mehr Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber setzen dabei auf E-Learnings, also digitale Online-Unterweisungen, die die Beschäftigten an digitalen Endgeräten selbstständig bearbeiten können. Die Vorteile dieser Methode liegen auf der Hand: Die Beschäftigten können selbst entscheiden, zu welchem Zeitpunkt und an welchem Ort sie die Unterweisung durchführen und erarbeiten sich die Inhalte dabei in ihrer persönlichen Lerngeschwindigkeit. Gewöhnlich beinhalten diese Online-Unterweisungen auch Testfragen, von denen die Beschäftigten eine bestimmte Anzahl korrekt beantworten müssen, um die Unterweisung erfolgreich abschließen zu können und ein Zertifikat zu erhalten. Ein großes Manko vieler Online-Unterweisungen besteht darin, dass diese häufig (noch) nicht barrierefrei gestaltet sind, sodass sie nicht von allen Beschäftigten im Unternehmen genutzt werden können. Gerade essentielle Arbeitsschutz-Themen wie Brandschutz oder Erste Hilfe im Betrieb sollten jedoch für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gleichermaßen zugänglich sein, denn die darin vermittelten Inhalte können im besten Fall Leben retten.

Öffentliche Stellen

Dabei ist für öffentliche Stellen die digitale Barrierefreiheit bereits gesetzlich verpflichtend: 2016 haben das Europäische Parlament und der Europäische Rat festgelegt, dass Websites, Betriebssysteme, Programme und digitale und mobile Anwendungen von öffentlichen Stellen barrierefrei zugänglich sein müssen. Diese Pflicht wurde mit der EU-Richtlinie 2102 auch für Deutschland umgesetzt. Die Richtlinie gibt vor, dass seit spätestens September 2020 alle digitalen Anwendungen von öffentlichen Stellen barrierefrei sein müssen – das gilt auch für Inhalte von Dritten, die aber unter der Kontrolle und/oder Finanzierung des Unternehmens stehen, und betrifft somit auch den Bereich der Online-Unterweisungen.

Privatwirtschaft

Für privatwirtschaftliche Unternehmen gibt es bisher keine gesetzlichen Regelungen für digitale Barrierefreiheit. Es ist aber nicht auszuschließen, dass diese in den kommenden Jahren noch folgen. Grundsätzlich wird das Thema Barrierefreiheit in der Gesellschaft immer sichtbarer, wodurch sich auch der soziale Druck auf Unternehmen erhöht, auf die Teilhabe aller Menschen im Betrieb zu achten. Denn nicht nur registrierte (schwer-)behinderte Personen profitieren von mehr Barrierefreiheit: Auch eine altersbedingte Sehschwäche kann dazu führen, dass man Texte und Bilder am Bildschirm schwerer erkennt. Das bedeutet, dass auch viele ältere Beschäftigte durch barrierefreie Inhalte besser erreicht werden. Dies trägt der Fürsorgepflicht der Unternehmen Rechnung, die sicherstellen müssen, dass ihre Unterweisungen von allen Beschäftigten gleichermaßen verstanden werden können. Es lohnt sich daher auch für privatwirtschaftliche Unternehmen ohne gesetzlichen Zwang, Online-Unterweisungen möglichst barrierefrei anzubieten.

Ein großes Manko vieler Online-Unterweisungen besteht darin, dass diese häufig (noch) nicht barrierefrei gestaltet sind.

Technische Voraussetzungen für barrierefreie Unterweisungen

Die häufigsten Behinderungen beziehen sich auf Seh- oder Hörorgane. Zwar kommen auch motorische und kognitive Einschränkungen vor und müssen bei barrierefreien Anwendungen mitgedacht werden, die größte Herausforderung digitaler Barrierefreiheit besteht aber entsprechend darin, dass die Inhalte der Unterweisungen kompatibel mit den gängigsten Screenreadern, also softwarebasierten Vorlese-Anwendungen, sein sollten. Das bedeutet, sie müssen von diesen korrekt erfasst und in einer sinnvollen Reihenfolge vorgelesen werden, damit sehbehinderte Personen sich in der Unterweisung gut zurechtfinden. Screenreader vermitteln alle Informationen, die Anwenderinnen und Anwendern auf dem Bildschirm zur Verfügung gestellt werden – wie Texte und Bilder – vollständig auditiv. 

Bilder, Videos und Co. können auch in barrierefreien Unterweisungen zum Einsatz kommen, sofern sie entsprechend ausgewählt und aufbereitet werden. Für Menschen mit eingeschränkter Sehstärke ist es beispielsweise wichtig, dass alle Bilder

  • einen möglichst hohen Kontrast aufweisen
  • einen klaren Fokus haben und
  • dass Inhalte auch bei bis zu 200-facher Vergrößerung noch erkennbar bleiben
 

Mithilfe von redaktionell hinterlegten Alternativtexten geben die Screenreader den Inhalt des Bildes so genau wieder, dass auch vollkommen blinde Personen sich dieses innerlich vorstellen können. Für Hörbeeinträchtigte eignen sich wiederum einblendbare Audiotexte zum Mitlesen. Dies sind nur beispielhafte Möglichkeiten, wie Inhalte auch digital barrierefrei gestaltet werden können. Viele weitere Anforderungen an digitale Barrierefreiheit fassen die Web Content Accessibility Guidelines zusammen. Diese Richtlinien sind ein transparenter Leitfaden, um die von der EU-Richtlinie geforderten Mindeststandards zur Barrierefreiheit zu erfüllen und können daher bei jeder Webanwendung, die digital barrierefrei umgesetzt werden soll, zum Einsatz kommen.

Interaktivität und Inklusion bei barrierefreien Online-Unterweisungen

Die eigenständige Bearbeitung der Online-Unterweisungen durch die Beschäftigten erfordert von deren Seite eine grundlegende Selbstmotivation. Interaktive Elemente erhöhen oft die Attraktivität eines E-Learnings. Wie können diese mit den Ansprüchen an die Barrierefreiheit vereinbart werden?

  • Im Sinne der Inklusion wäre es nicht förderlich, das Angebot aufzuteilen in eine vollständig auf Text und Bild reduzierte barrierefreie Unterweisung für Menschen mit Einschränkungen und eine barrierebesetzte, interaktive Unterweisung für alle anderen Beschäftigten.
  • Zwar können in barrierefreien Online-Unterweisungen manche interaktiven Funktionen nicht eingesetzt werden; beispielsweise eine Drag-and-Drop-Aufgabe, bei der Elemente durch das Ziehen an die korrekte Stelle zugeordnet werden müssen.
  • Einige interaktive Funktionen können jedoch auch vollständig barrierefrei umgesetzt werden, wie Hot Spots, Slider-Ansichten, Pop-Up-Elemente oder Akkordeon-Klappelemente, sofern diese auch per Tastatursteuerung nutzbar sind und von den gängigen Screenreadern gelesen werden können.

Auswahl von Online-Unterweisungen

Achten Sie bei der Auswahl von Online-Unterweisungen immer auf die Bedürfnisse Ihrer Zielgruppe: Wer vollständig blind ist, für den können zu viele interaktive Elemente auch anstrengend werden, weil die Steuerung und Orientierung viel Konzentration erfordert, aber nicht beim Verständnis hilft – wenn das auf viele Beschäftigte im Betrieb zutrifft, wäre eine reduziertere Variante sinnvoller. Die Mehrzahl der Unternehmen profitiert hingegen von hybriden barrierefreien Online-Unterweisungen, die aufgrund einiger interaktiver Elemente und didaktisch sinnvollem Storytelling sowohl für behinderte als auch nicht-behinderte Menschen attraktiv ist.

Das Ziel sollte immer sein, digitale Unterweisungen so schlicht wie möglich zu gestalten, um Barrieren abzubauen, aber sie zugleich durch barrierefrei umgesetzte Möglichkeiten der Interaktion dennoch attraktiv zu gestalten.

 

Der Fachartikel ist erschienen in: Universum Arbeitsschutz-Center / ehs Software Suite im Bereich Fachinformationen.  

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Artikel veröffenticht

21.11.2023 - 7:31 Uhr

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